zum Inhalt springen

Im FESTIVALFRIENDS-Verbund sind unterschiedliche Festivals mit ihren unterschiedlichen künstlerischen und Diskursprogrammen organisiert. In diesem Bereich bringen wir Eindrücke aus der Öffentlichkeit zu den jeweiligen Festivals zusammen.

Besser als jedes Studium: Simone Blumenthal im Gespräch mit Julian Kamphausen

Festival:
Datum:
4.6.2022

Nie abgeschlossene Netzwerkarbeit

Simone Blumenthal (kritik-gestalten) kommt ins Gespräch mit Julian Kamphausen (Netzwerkberatung FESTIVALFRIENDS).

k-g: Der Rahmen ist Programm ist das dritte real stattfindende Festival im Verbund FESTIVALFRIENDS. Was sind die Lehren aus der ersten Phase?

J. K.: Bis jetzt hat alles sehr gut funktioniert und das ist ja schon außergewöhnlich in den aktuellen Zeiten. Nach zwei Jahren Pause gab es jetzt wieder drei Festivals, die gut angenommen wurden, die teilweise eine sehr gute Auslastung hatten und viele ausverkaufte Vorstellungen.

Die Netzwerkarbeit war auch zufriedenstellend. Sie erreicht aber nie einen Punkt, an dem sie abgeschlossen ist, sondern ist ein fortlaufender Prozess. Es braucht Zeit, den Austausch zwischen den Künstler*innen aus verschiedenen urbanen Regionen zu befördern oder zwischen Festivalleitungen aktiv zu ermöglichen. Wir wollen ja, dass ein Wissenstransfer abgebildet wird und dann auch in den Personen der einzelnen Festival-Teams gespeichert wird und kontinuierlich in die jeweiligen Prozesse einfließt. Es gibt keine Messlatte, die erreicht werden muss.

Auch unsere Netzwerkarbeit nach außen lief gut: Wir konnten viele kulturpolitische Verbündete treffen, viele waren bei den Festivals vor Ort. Es ist wirklich schön, dass nach Corona viele Verbündete übrig geblieben sind und auch neue gefunden werden konnten, gerade hier in Chemnitz. Das Festival „Der Rahmen ist Programm“ ist sehr gut angenommen worden und viele Entscheidungsträger*innen aus Politik und Verwaltung haben sich dem Festival zugewendet, sind selber gekommen, haben Ratschläge erteilt, Lob ausgesprochen. Das freut uns wirklich sehr.

Das achte Festival im Verbund

k-g: Inzwischen hat FESTIVALFRIENDS nicht nur sieben, sondern acht Festivals im Verbund, das Phoenix Festival aus Erfurt ist dazu gekommen. Gibt es da ein Onboarding oder springen die Erfurter*innen ins kalte Wasser und schwimmen mit den anderen Festivalmacher*innen mit?

J. K.: Ein wirkliches „Onboarding“ gibt es für das Phoenix Festival nicht, es findet bereits in knapp einem Monat statt (05.07.22 - 10.07.22).Dafür sind die Erfurter*innen schon länger mit dem Verbund im Austausch, sie haben gründlich recherchiert. Wir freuen uns im Anschluss von „Der Rahmen ist Programm“, gemeinsam zukünftige Pläne zu entwickeln und sie noch mehr in Netzwerk-Aktivitäten der FESTIVALFRIENDS zu integrieren; in das Format &FRIENDS BESUCH oder in die Strukturen des Formats &FRIENDS LABOR. Das wird super.

k-g: Ziel des Verbundes ist es also, zu wachsen. Bei der Diskussion gestern haben wir Stimmen von Festivalleiter*innen gehört, dass man in dieser Position viel vereinen muss: Gastspiele sichten, Programm gestalten, Öffentlichkeitsarbeit übernehmen etc. Besteht nicht die Gefahr, die Beteiligten zu überfordern, wenn das Netzwerk zu groß wird und sie irgendwann zehn andere Festivals besuchen müssen?

J. K.: Auf dem Papier kann das hart aussehen. Umso mehr, wenn Festivals teilweise über Wochen und Monate gehen, wie das im Verbund beteiligte Festival‍ Implantieren in Frankfurt. Häufig werden Festivals aber im Team geleitet und man kann sich abwechseln. Als ich mit Susanne Schuster das Festival Hauptsache Frei in Hamburg geleitet habe, haben wir nirgendwo so viel gelernt, so viele Tipps bekommen und so viele Fehler vermeiden können wie durch den Austausch mit anderen Festivals. Durch das Erleben verstanden wir, wie sie funktionieren oder wie Künstler*innen anders eingebunden werden können. Das war sehr hilfreich, besser als jedes Studium.

Vernetzung über die eigenen Grenzen hinaus

k-g: FESTIVALFRIENDS will nicht nur in Deutschland wachsen, sondern sich auch innerhalb Europas weiter vernetzen. Wo liegen da konkrete Chancen, wo die Herausforderungen? Für ein junges Festival mit großen regionalen Herausforderungen wie Der Rahmen ist Programm in Chemnitz könnte das schon viel sein.

J. K.: Chemnitz ist da sehr besonders: Im Bereich der Freien Darstellenden Künste gibt es einen außergewöhnlich schönen, gut gewachsenen Kulturaustausch mit Tschechien. Im Rahmen des Festivals laufen zwei direkte Koproduktionen. Eine solche transnationale Kooperation kannte ich so vorher nicht. Aus meiner Perspektive ist das ein großes Glück, dass Chemnitz diese transnationale Kompetenz mit ins Netzwerk bringt. Grundsätzlich kann man über die Freien Darstellenden Künste sagen, dass sie nationale Grenzen, Herkunft, Sprachkenntnisse oder andere limitierende Faktoren erfolgreich ignorieren. Die Arbeitssprache ist oft englisch oder nonverbal in ihren Ausdrucksformen. Ebenso spielen die Menschen, die in den Freien Darstellenden Künsten arbeiten, eine Rolle. Durch ihre eigenen Biografien bringen sie eine ganz natürliche Fluidität in ihren Wohnorten mit. Es gibt Menschen, die arbeiten zwei Jahre in der europäischen Stadt, dann wieder zwei Jahre in einer anderen. Das ist gelebter Austausch auf europäischer Ebene. Ich glaube nicht, dass Kulturinstitutionen, Festivals und Kulturschaffende, die national oder kommunal beschränkt denken und arbeiten, in der Zukunft eine Chance haben.

Mit jemandem sprechen, über den man normalerweise nur redet

mit statt über

Mit jemandem sprechen, über den man normalerweise nur redet – das ist das Motto unter dem das DRiP-Festival stattfindet. Aber wie kann das überhaupt funktionieren?

Die Besucher*innen im Rahmen des FESTIVALFRIENDS-Programmes &FRIENDS BESUCH haben sich am Freitagmittag in der Stadtwirtschaft zu einer offenen Werkstatt zusammengefunden, um darüber zu sprechen, wie echtes Zuhören ohne Wertungen und Schubladendenken praktiziert werden kann. Und wie das gefundene und gesammelte Material adäquat und ethisch korrekt verwendet werden kann. So, dass es für sich selbst steht, nicht zweck-und sinnentfremdet wird, dass keine Aneignung des Materials stattfindet - und dennoch Kunst entsteht.

Christopher Heyde aus Leipzig erzählt von seinem Literaturprojekt Transkri.pt, in dem es um „geäußerte Erinnerungen“ geht. Dafür transkribiert er mündlich geteilte Erinnerungen fremder Menschen aus der Gesprächssituation heraus. In Wortlaut, Rhythmus, mit Akzenten und allen kleinen Besonderheiten, wie etwa der Mundart. Daraus soll dann ein „Archiv der Begegnungen“ entstehen.

Das Problem dabei sei allerdings, dass selbst wenn Künstler*innen versuchten, authentische Stimmen dokumentarisch einzufangen, etwa durch Interviews, in der künstlerischen Umwandlung doch wieder ihre eigenen Filter und Selektierungen zu Tage treten. Die Meinungen und Wertungen der Künstler*innen schwingen demnach immer mit. Schließlich erfolgt schon die Auswahl der potenziellen Gesprächspartner*innen aufgrund von Annahmen und (Vor-)Urteilen.

dokumentarische Arbeit mit geographischen Filtern

Für Gabi Reinhardt, der künstlerischen Leiterin des Festivals Der Rahmen ist Programm, liegt ein möglicher Umgang mit diesem Problem in der Beschränkung auf eine geographischen Auswahl. Da eben nicht von außen in Schichten, Kategorien, Ethnien, Berufsgruppen o. ä. eingeteilt wird, erscheinen Selektionen durch den geographischen Filter nicht so wertend.

Beispielsweise hat sie für eines ihrer Projekte die Bewohner*innen aus den 172 Appartements eines bestimmten Hochhauses erwählt. Und diese befragt, ob sie zu Gesprächen bereit sind oder sich sogar künstlerisch in die Performance einbringen wollen. Manchmal schlugen Türen zu. Andere wiederum hatten Lust zu performen. Wieder andere stellten ihre Balkone als Bühnen zur Verfügung. Schließlich haben 30 Bewohner*innen und noch mehr Helfer*innen bei der Performance mitgewirkt.

Wichtig bei solchen Projekten, betont Karolin Benkert vom Künstlerhaus Thüringen, sei es auch, die Menschen inden Prozess miteinzubeziehen. Und nicht von außen zu kommen und zu sagen: „Das hier ist jetzt das Projekt. Willst du nicht mitmachen?“ Und um Vertrauen aufzubauen, muss man eben auch an den Orten rumhängen, an denen die Menschen sind, mit denen man reden will. In ihrem Fall ist dies aktuell das Dorf Sömmerde, in dem sie versucht, 12- bis 16-jährigen ihre eigenen Held*innen-Geschichten zu entlocken. Zeit müsse man dafür natürlich mitbringen, sagt sie. Und darüber hinaus Ausdrucksformen für die Menschen finden, in der sie sich stark und empowered fühlen. Dafür könnten beispielsweise ästhetische Aufgaben gestellt werden, mit deren Hilfe dann die komplexen Erfahrungen und Gefühle der Befragten auf den Punkt gebracht werden.

vertretbare Formen von Authentizität

Neben der starken, selbstgewählten Ausdrucksform ist für die Verwendung von dokumentarischem Material die Authorisierung des spezifischen Gebrauchs durch die Urheber*innen elementar. Dabei gebe es natürlich zwei Arten von dokumentarischen Material, betont Julia Amme von missingdots e.V. Zum einen könnten Künstler:innen ihr eigenes biographisches Material entwickeln, als “professionelle Player” sozusagen, beispielsweise über Schreibaufgaben. Zum Anderen gäbe es das dokumentarische Material der Bürger*innen. Und dieses sei wahnsinnig spannend. Und ebenso sperrig, wenn es künstlerisch bearbeitet und umgewandelt werden soll. Eine Lösung für diese Fragen und Problematiken konnte natürlich auch heute nicht gefunden werden. Aber das Bewusstsein für einen sensiblen, künstlerischen Umgang mit fremden Stimmen wächst. Und die Künstler*innen suchen zusammen mit den “Subjekten ihres Interesses” nach neuen, vertretbaren Formen von Authenzität.

Auf dem Bild sind an Schnüren Textschnipsel befestigt. Auf den Zetteln ist zu lesen: "GRRRRL war super!", "Tolle Location(s)" und "Ich liebe Barrierefreiheit, aber wie viele Menschen, die sie brauchen, hat sie auf dem Festival erreicht?

Neue und alte Geschichten entdecken

Datum:
3.6.2022

Frauke Wetzel vom Verein ASA-FF e.V. ist eine der beiden Leiterinnen des neuen Festivals „Der Rahmen ist Programm“ (DriP) in Chemnitz, das andere Wege gehen will, um mit der Stadtbevölkerung in Kontakt zu kommen.

k-g: Was ist die Idee hinter DriP?

Frauke Wetzel: Mein Verein ASA-FF, der Veranstalter des Festivals, setzt sich u.a. für Demokratieentwicklung ein, dafür, neue Narrative zu entdecken, lauter zu machen. Die erste Idee war, mit dem Verbund FESTIVALFRIENDS zusammenzugehen, der uns stark unterstützt hat. Unsere Festivals bisher hatten vor allem mit lokalen Akteuren aus der Zivilgesellschaft zu tun, mit politischen Themen, mit Geschichte, Utopien oder der Aufarbeitung des NSU-Terrors. Diesmal haben wir gesagt: wir entwickeln ein Festival zusammen mit Künstler:innen. Es geht darum, raus aus der Blase zu gehen, Menschen zu erreichen, die keine Künstlerinnen sind, sondern Geschichten zu erzählen, denen mit Hilfe von Kunst zugehört wird. Und so besteht das Festival jetzt aus 28 Veranstaltungen an fünf Tagen, sieben davon Premieren, vor allem von Chemnitzer*innen.

k-g: Kommt denn die Stadtbevölkerung zum Festival, das ja ganz viele neue Formate anbietet – etwa Clubtouren, Gespräche mit Experten außerhalb der Theaterblase, einer Stadtführung der Chemnitzer Bordsteinlobby?

FW: Ich habe sie sehr direkt eingeladen. Gerade habe ich mit der Frau von der Polizeidirektion telefoniert, die im Gesprächsformat „Unverblümt“ eins der Theaterstücke kommentiert. Sie geht zum ersten Mal ins Theater und ist skeptisch - aber sie lässt sich darauf ein. Ich habe auch eine Schamanin, einen Gewerkschaftler, Bergbaukumpel eingeladen und ihnen eine Funktion gegeben, damit sie sich zugehörig fühlen. Hätten wir noch mehr tun können? Es ist ja ein neues Festival, da können wir nicht auf altbekanntes Publikum setzen. Wir können das ohnehin nicht in Chemnitz. Wenn wir die Bude voll haben wollen, ist es bei uns normal, sehr breit zu denken.

k-g: Was sind noch Strategien, andere Zuschauer ins Theater zu locken als sonst?

FW: Das Wichtigste ist bei uns das Reden über Inhalte, über Chemnitz, immer geöffnet für alle zu sein. Wir haben Kurzstücke in die Clubs der Stadt verlegt. Da waren einige Menschen dabei, die sonst nicht ins Theater gehen. Die Clubbesitzer waren erst skeptisch, hatten dann aber großen Spaß.

k-g: Ich habe viel über Chemnitz gelernt, etwa, dass es hier viele spannende alternative Orte und Initiativen gibt. Und doch bleibt es eine Stadt, in der sich rechtsextreme Strukturen stärker vernetzt haben als anderswo. Wie positioniert sich da das Festival?

FW: Mein Verein positioniert sich da sehr stark. Wir reagieren aber nicht mehr wie 2018, wo erst jemand sterben musste, Neonazis demonstrierten und dann eine Stadt aufstand. Das hat tatsächlich zu einer Politisierung der Stadt geführt. Die Stadtgesellschaft weiß jetzt, dass sie Gesicht zeigen muss. Nicht, dass sie das immer tut. Aber es passiert häufiger. Wir als Verein arbeiten langfristig, um nicht wieder kurzfristig reagieren zu müssen. Wir setzen an nicht bei den ganz Rechten, sondern bei denen, die 2018 leider in großer Mehrzahl mitgelaufen sind. Nicht um sie zu verstehen, sondern um zu hinterfragen: was steckt dahinter? Worüber müssen wir in dieser Stadt auch reden? Welche Frustration ist hier 1990 geschehen? Was für eine vielleicht unentdeckte Geschichte steckt dahinter? Da geht es manchmal schlicht um Zuhören, um den Frust nicht größer werden zu lassen. Frust ist absolut nicht die einzige Erklärung. Da ist auch viel Menschenhass dabei, für den ich keine Erklärungen finden will. Aber bei vielen will ich einfach den Gedanken nicht aufgeben, dass wir sie noch auf die Seite gegen Rechts bekommen. Das ist auch unsere Position bei diesem Festival: Zuhören, multiperspektivisch, immer auch empathisch sein und kulturelle Mittel zu nutzen. Und mir ist auch ein Anliegen, Künstlerinnen zu bestärken, sich als politisch agierende Menschen, als Aktivist*innen zu verstehen.

k-g: Chemnitz ist Kulturhauptstadt 2025, deren Geschäftsführer, Stefan Schmidtke, war auch bei DriP zu Besuch. Fühlst du dich als Festivalleiterin ideell vom Projekt Kulturhauptstadt unterstützt? Was bedeutet es für Chemnitz?

FW: Wir merken, dass auf uns als Chemnitzer Kultur aktiver gesehen wird. Wir haben mehr Öffentlichkeit und Presse hier. Das nehmen wir auch gerne mit und werden größer und lauter und lernen daraus, dass wir auch öfter einladen müssen zu uns – etwas Ähnliches hat auch der Verbund FESTIVALFRIENDS für uns bewirkt. Das Interesse an Chemnitz steigt. Und auch wir sind ja hier, weil wir die Stadt irgendwie lieben und das erklären wollen. Von vielen beteiligten Künstlerinnen haben wir gehört, dass sie immer noch hier sind, weil es die Kulturhauptstadt gibt. Wir hoffen aber, dass der Kontakt noch stärker wird, wir müssen da noch unsere Rolle finden. Einzelne Künstler*innen sind mit Projekten dabei – ich glaube, noch zu wenig. Da ist es jetzt auch an uns, diesen Dialog auch aufzunehmen und gemeinsam mitzuwirken. Es ist ein riesiger Motivationsschub. Konkreter kann ich das noch nicht fassen - das ist es nämlich noch nicht.

k-g: Was macht es aus, das Festival im Verbund FESTIVALFRIENDS gegründet zu haben?

Sehr viel! Ohne die finanzielle und ideelle Unterstützung von FESTIVALFRIENDS gäbe es DriP nicht. Wir begleiten eigentlich eher langfristig Kulturproduktionen, die sich mit Mitteln der Kunst neuen, unentdeckten Narrativen zuwenden. Solche, die bessere Geschichten erzählen, die Halt geben. So haben wir die Möglichkeit erhalten und konnten sehr frei, viele Ideen entwickeln, Workshops mit Künstler*innen umsetzen und viel Aufmerksamkeit auf die hiesige Szene erhalten.

Eine Bestandsaufnahme in Blitzlicht-Begegnungen

Speed-Dating mal anders

An fünf runden Tischen haben sich am Donnerstag Mittag Künstler*innen aus Chemnitz, Sachsen und ganz Deutschland mit Vertreter*innen aus der Kulturpolitik auf den Kleewiesen vorm Lokomov zum Gespräch zusammengefunden. Im 20-Minuten-Takt wurde von Tisch zu Tisch rotiert und immer eine andere Fragestellung diskutiert. Neben dem Kennenlernen, das ja immer der erste Schritt zum erfolgreichen Netzwerken ist, ging es um die Förder- und Finanzierungsstrukturen der Freien Darstellenden Szene und um neue Kooperationen. Rund um das Verbinden, sichtbar machen und nachhaltig werden von Kollektiven.

Gefehlt haben den Leiter*innen der Tische vor allem mehr Chemnitzer Gesichter beim Blick in die Runde. Viele der Akteur*innen der Freien Szene aus Chemnitz sind, da in den nächsten Tagen im Rahmen des DRiP vielfältige Premieren anstehen, gerade an ihre Arbeit gebunden. Dafür haben sich die Teilnehmenden sehr über die Stimmen aus anderen Teilen Sachsens und ganz Deutschland gefreut. Besonders die über FESTIVALFRIENDS angereisten Künstler*innen haben einen Hauch von Überregionalität auf die Sonnenliegestühle am Straßenkreuz an der Augustusburger Straße gebracht. Eine Teilnehmerin sagte beispielsweise: „FESTIVALFRIENDS ist der größte Segen, um überhaupt mitzubekommen, was wo so geht.“ Denn im Normalfall, sei es schwer von den verschiedenen Festivals und Produktionen zu erfahren, da das Netzwerk fehle. Eine weitere Teilnehmerin betont: „Eigentlich bräuchte man als Künstlerin ja ein ganzes Jahr um einfach herumzureisen, um sich inspirieren zu lassen. Und dann ein weiteres, um kreativ zu werden und selbst zu produzieren.“

Konsens am Tisch

Am Tisch einer Regisseurin aus Dresden herrscht in einem Thema Konsens: „Wir in der Freien Szene arbeiten nicht nachhaltig. Wir arbeiten im Bulimie-Verfahren.“ Ein Grund dafür mag die Förderstruktur der Kulturpolitik sein. Das System sei weder auf Nachhaltigkeit noch auf Sichtbarkeit ausgelegt und demnach kulturpolitisch fragwürdig. Obwohl immer mehr Banden jenseits dereigenen Kerngruppe gebildet werden, sei jede*r am Ende des Tages Einzelkämpfer*in. Andererseits seien durch den Einschnitt der Pandemie immer mehr Momente des Zusammenkommens und des kollegialen Miteinanders entstanden - und in diesem Sinne habe in gewissen Maße auch ein Empowerment stattgefunden.

Nun bleibt die Hoffnung, dass durch den Corona-Crash die starren Förderstrukturen auch in Zukunft aufgebrochen bleiben. Zum Beispiel dadurch, dass auch weiterhin überjährige Projektfinanzierungen möglich und Anträge unbürokratischer zu bewältigen sind. Denn die Akteur*innen der Freien Szene sind in erster Linie Künstler*innen - und eben nicht Kulturpolitiker*innen, Eventmanager*innen, Öffentlichkeitsarbeiter*innen und Bürokaufkräfte. Desweiteren besteht die Hoffnung, dass sich die Kulturszene in Chemnitz, über die europäische Kulturhauptstadt 2025 hinaus, noch weiter entwickelt. Das Jahr der Kulturhauptstadt müsse man als Katalysator begreifen, heißt es am Tisch von Futur Ost, die eigentliche Agenda sei ein buntes Kulturerleben in 10 Jahren und darüber hinaus. 80 % der zur Verfügung stehenden Mittel (von den 60 Millionen Euro), die in Kunst und Kultur gesteckt werden, sind bereits verplant für die in der Bewerbungsmappe angekündigten Programmpunkte. Das bedeutet aber auch, dass 20 % noch ausgeschüttet werden können und müssen. Die Künstler*innen der Freien Szene, als elementarer Bestandteil des Kulturlebens der Stadt, werden ab Herbst in einem Open Call dazu aufgefordert, ihre Projekte und Visionen vorzustellen.

Kulturmanagement fehlt

Dass das alles zur Zeit so schleppend vorangeht, liege auch daran, dass das Kulturmanagement in der Stadt zur Zeit massiv unterbesetzt sei, wird eine Stimme aus der Verwaltung hörbar. Da fehle es an Ressourcen, an Geld. Da blieben Chancen liegen. Tatsächlich wurde die Kulturverwaltung der Stadt, trotz der großen Herausforderung und Chance in puncto Kulturhauptstadt, vorerst nicht aufgestockt. Wie so oft mangelt es nicht (vornehmlich) am Willen - sondern an Geld und Strukturen. Was nachhaltig ist, ist oftmals nicht förderbar, da ständig neue Zusammenarbeiten etabliert und frische Ideen vorangetrieben werden sollen. Dabei wäre das Mittel der Wahl eigentlich eine institutionelle Förderung, darin sind sich die Gesprächspartner*innen am Tisch von Gabi Reinhardt, künstlerische Leiterin vom DRiP, einig. Doch wer eine institutionelle Förderung erhält, kann an gleicher Stelle keine Projektförderung mehr beantragen.

Zumindest in Chemnitz soll nun aber ein Pilotprojekt starten, das die Fördermodelle umbaut. In Zukunft sollen Hausförderungen mit einer Programmförderung in Kombination möglich sein. Es bleibt spannend, wohin die Reise geht.

Blick nach vorn

Vier Perspektiven

In vier Kurzvorträgen haben Referent*innen aus dem Umfeld der Kulturszene Chemnitz einen Blick nach vorn geworfen und ihre Wünsche für die Zukunft formuliert. Für eine lebendige Freie Szene, den Abbau von Barrieren und ein Arbeiten auf Augenhöhe in kreativer Freiheit mit Beteiligungsoptionen. Schließlich versteht sich das DRiP auch als Option für eine Fehlstellenanalyse. An was mangelt es? Wo liegen ungenutzte Chancen brach?

Wie kann Theater zum Ort für Alle werden?

Theater als Beziehungsarbeit

Im Ringen um Publikum stellen sich die Freien Darstellenden Künste vor die Aufgabe, ein Standing und Vertrauen in der breiten Masse zu etablieren. Schließlich erscheint das Theater zu oft als ein Ort und eine Ausgehmöglichkeit für wenige Privilegierte aus der Bildungsschicht. Die ohnehin kunstaffin sind und sich als intellektuell verstehen. Verschiedene Künstler*innen aus Chemnitz und co diskutieren mit Vertreter*innen der Kulturpolitik über den Publikumsschwund in den Häusern der Freien Darstellenden Künste und suchen nach Ursachen für ihr Nischen-Dasein.

Dabei ist eine der ersten Frage bei der Realisierung eines künstlerischen Projekts für die Akteur*innen immer: „Wer ist eigentlich die Zielgruppe für dieses ganz spezifische Projekt?“ Aber selbst wenn die Zielgruppe breit definiert wurde, bleiben die Häuser oft relativ leer und immer nur die gleichen Gesichter trauen sich in das Wagnis der oft unverwertbaren Inszenierungen. Worin ja auch ein eigener Reiz liegt.

Um ein Publikum zu erreichen ginge es im Grunde stets darum, Vertrauen und Beziehungen aufzubauen. Darin sind sich die Diskussionspartner*innen einig. Und zeitgleich zu verstehen, woher die innere Neugierde eigentlich komme, die einen irgendwohin treibt. Welche Faktoren tragen also dazu bei, einen Sog zu etwas zu verspüren?

Wen treffe ich im Theater eigentlich? 

Ein wichtiger Faktor liegt sicherlich im Sozialen. Denn das potentielle Publikum stellt sich vor dem Theaterbesuch die Frage: „Wen treffe ich da eigentlich? Und wie findet da Kommunikation statt?“ Schließlich ist es der gemeinschaftsstiftende Moment, der seit der Antike im Theater (und auch bei anderen sozialen Events, sei es das Fußballspiel oder ein Konzertbesuch) gesucht wird.

Zeitgleich muss das Publikum natürlich auch mitbekommen, dass da etwas stattfindet. Dass es da Möglichkeiten zur Teilhabe und Erkundung gibt. Und so bedarf es nach wie vor mehr Sichtbarkeit. Dafür erscheinen Festivals, als gebündeltes, buntes Ereignis, erstmal als ein passendes Format.

Eine Stimme aus dem Publikum sagt: „Chemnitz hat schon sehr viel zu bieten, wünschenswert wäre ein anderes Bewusstsein für die Internationalität der Stadt.“ Zum Beispiel kämen viele Studierende für ein oder zwei Semester nach Chemnitz und könnten beispielsweise durch englischsprachige Veranstaltungen für die Freie Szene oder für Kultur im Allgemeinen begeistert werden.

Aber: Freie Szene, was bedeutet das überhaupt? Noch kein festes Engagement, das kleine Kellertheater um die Ecke oder das Kollektiv, das sich für eine Arbeit zusammenschließt? Und was bedeutet dieser undefinierte Begriff für die Kulturhauptstadt 2025? Wie kann man diese heterogene Kulturlandschaft repräsentativ integrieren?

Interessenvertretung ist enorm wichtig und muss professionell betrieben werden. In Sachsen hat die Freie Szene noch eine andere Historie als beispielsweise in NRW. Aus anderen Gesprächsbeteiligungen wird wiederum deutlich, dass der Begriff Freie Szene kritisch zu betrachten ist. Schließlich klinge das undefiniert. Wie ein Konglomerat aus allerlei Soziokulturellem, das nie gänzlich zum Amateurbereich abgegrenzt werden kann. Braucht es für ein klareres Standing also vielleicht zunächst eindeutigere Begriffe?

Was ist eigentlich ein Festival und wodurch zeichnet es sich aus?

Festival:
6 tage frei
Datum:
27.4.2022

Interview mit Martina Grohmann (künstlerische Leitung 6 TAGE FREI und Theater Rampe)

Das Festival 6 TAGE FREI in Stuttgart ist das erste der sieben Festivals vom FESTIVALFRIENDS-Verbund, das in diesem Jahr stattgefunden hat. Im Interview hat uns die künstlerische Leiterin, Martina Grohmann, erzählt, wie sich der solidarische Zusammenschluss schon nach wenigen Monaten auf ihre Arbeit ausgewirkt hat.

1) Besonders wichtig sei im Voraus der kuratorische Austausch mit den Kolleg*innen der anderen Festivals gewesen: Wer arbeitet mit wem und wie kann eine gute Zusammenarbeit aussehen? In Reaktion darauf sei erstmalig eine Gruppe von zwölf Kurator*innen nach Stuttgart eingeladen worden, um ein Mehr an Perspektiven zu versammeln und die Freie Szene in Baden-Württemberg möglichst großflächig abzubilden. So kamen Vertreter*innen einzelner Theater zusammen mit Kurator*innen und Künstler*innen. Unterschiedliche Generationen, kulturelle Kontexte und Disziplinen wurden miteinander vermischt.

2) Auch stelle sich für Martina Grohmann durch den Austausch im Verbund immer wieder die Frage: „Was ist eigentlich ein Festival und wodurch zeichnet es sich aus? Da 6 TAGE FREI ans Theater Rampe angedockt ist, ist es hier einer von vielen Punkten im Jahresprogramm. Andere Festivals die Festivals FAVORITEN in Dortmund, das Hauptsache Frei in Hamburg und das Performing Arts Festival in Berlin arbeitenwiederum mit Partnerhäusern zusammen. Daraus resultieren aber natürlich ganunterschiedliche Arbeitsrealitäten.“ Dadurch bleibe man wach und könne dieeigenen Abläufe und Gegebenheiten immer wieder produktiv hinterfragen.

3) Durch die unterschiedliche Dauer der im Verbund zusammengeschlossenen Festivals rücke auch die organisatorische Gestaltung immer wieder in den Fokus. „Wie lang kann ein Festival sein? Was für eine Programmgestaltung ist für Künstler*innen, Partnerinstitutionen und Publikum am sinnvollsten? Auf diese Fragen können wir im Austausch mit den anderen Festivalteams neue Antworten finden.“

Es lohnt also, die Arbeit der Verbundspartner*innen zu beobachten. Ende Mai wird der Stab von Stuttgart aus weitergereicht, dann folgt das Performing Arts Festival in Berlin (24.05. - 29.05.2022).

Favorit*innen im Verbund

Festival:
6 tage frei
Datum:
26.4.2022

Welche Position nimmt das FAVORITEN-Festival neben den anderen Festivals ein? 

Bereits 2016 haben sich Festivals der freien Darstellenden Künste vernetzt und in 2021 zu dem Verbund FESTIVALFRIENDS zusammengeschlossen, um Wissen und Erfahrungswerte auszutauschen und gemeinsam bundesländerübergreifend die Festivalarbeit zu verändern.

Im Rahmen des Festivalin Stuttgart sprachen wir mit Sina-Marie Schneller, einer der Künstlerischen Leiterinnen des Dortmunder FAVORITEN-Festivals, über den FESTIVALFRIENDS-Verbund. FAVORITEN ist dabei ein Festival, das nicht nur im NRW-Vergleich finanziell und personell gut ausgestattet ist. Deshalb haben wir Sina gefragt, welche Position es neben den anderen sechs Festivals im Verbund einnimmt.

Ein Aspekt der Verbundsarbeit bestehe darin, Parallelen zu erkennen und Vergleichbarkeit herzustellen. Mit Blick auf die finanzielle Ausstattung der sieben Festivals lasse sich ein Unterschied ausmachen, was dem künstlerischen Anspruch der Einzelnen jedoch keinen Abbruch tue. „Es ist interessant zu sehen, dass die kleineren Festivals mit anderen finanziellen Beträgen ein absolut spannendes, dichtes und professionelles Programm gestalten.“ Gleichzeitig stelle sich die Frage, warum einzelne Bundesländer vergleichbar wenig Geld in die Freie Szene investieren.

In kulturpolitischer Hinsicht sehen die FAVORITEN auch bei sich noch Entwicklungspotenzial und freuen sich im Rahmen des Verbunds u. a.vom Performing Arts Festival Berlin lernen zu können. Durch die Nähe zur Bundespolitik und eine sehr heterogene junge Theaterszene würden in Berlin progressivere Themen diskutiert als in Dortmund. Dadurch motiviert, stelle sich das Leitungsteam des FAVORITEN-Festivals folgende Fragen: „Welche Ziele haben wir für die Künste (in NRW)? Wen wollen wir repräsentieren? Was für Begegnungsräume wollen wir schaffen? Was wollen wir vielleicht auch sozial tun? So weit reicht unser ganzer Anspruch.“

Welchen Sinn hat der Festival-Verbund für die freien darstellenden Künste in NRW? 

Für Sina stehen dabei vor allem drei Aspekte im Fokus:

1) RAUM FÜR AUSTAUSCH
„Der FESTIVALFRIENDS-Verbund bietet einen komfortablen, tollen und privilegierten Rahmen, in dem der Austausch zwischen verschiedenen Entitäten gefördert wird, die dasselbe tun.“ Die Art des Umgangs miteinander ermögliche einen produktiven und wohlwollenden Austausch, es gebe Zeit und Raum für das Teilen von Erfahrungen, Fragen und Sorgen - über die Szene im eigenen Bundesland hinweg und in zeitlicher Kontinuität.

2) VERSTÄNDNIS
Da Austausch und Zusammenarbeit über regionale und nationale Grenzen ohnehin fester Bestandteil künstlerischer Arbeitsprozesse seien, folge man mit dem Festival-Verbund einer wichtigen Realität. So könne auch das Verständnis für einander und unterschiedliche Arbeitsrealitäten weiter wachsen.

3) WISSEN
„Es ist wichtig die eigene Szene auch auf Bundesebene besser kennenzulernen“, so Sina. Künstlerisch, politisch, institutionell: Wissen darüber zu erlangen, welche Ästhetiken und Inhalte dier egionalen Szenen prägen. Welche politischen und gesellschaftlichen Fragen in den unterschiedlichen Städten und Bundesländern eine Rolle spielen. Und welche Arbeits- und Förderrealitäten es vor Ort gebe. Nur so könnten die Bedingungen von Kunst als Beruf und Arbeitsumfeld kontinuierlich und nachhaltig verbessert werden.

Regionale Unterschiede bündeln

Festival:
6 tage frei
Datum:
26.4.2022

Was kann trotz regionaler Unterschiede bundesweit für Festivals der freien Szene erreicht werden?

Silvia Werner, Netzwerkdirektorin vom FESTIVALFRIENDS-Verbund koordiniert die Zusammenarbeit der sieben Festivals im Verbund und will sowohl auf den Landesebenen als auch auf Bundesebene Sichtbarkeit und kulturpolitische Veränderungen für die Freie Szene erwirken. In Stuttgart ist das erste der sieben Festivals vom FESTIVALFRIENDS-Verbund, das in diesem Jahr stattgefunden hat.

Entstanden ist der Verbund aus einem freundschaftlichen Interesse einzelner Festivals untereinander, die sich über ihre Arbeitsweisen und -bedingungen ausgetauscht haben. Durch die Gründung von FESTIVALFRIENDS und der Förderung durch das Bundesprogramm Verbindungen fördern sei nun eine Struktur geschaffen, die politisch Einfluss nehmen will, so Silvia Werner im Interview. „Wir betreiben relativ viel kulturpolitische Lobbyarbeit im Moment, auch gemeinsam mit den anderen Verbindungen-fördern-Bündnissen. Es geht darum, das Förderinstrument über 2025 hinaus zu verstetigen. Das sind Prozesse, die jetzt schon angestoßen werden müssen.“

Durch den überregionalen Zusammenschluss derart unterschiedlicher Festivals sei man auf allen politischen Ebenen gemeinsam durchsetzungsfähiger. „Gerade auch im ländlichen Raum, jenseits der urbanen Ballungszentren, wo es unter Umständen noch nicht so viel gibt, ist noch viel Potenzial. Wir hoffen, dass wir hier über die Jahre und mit mehr Vernetzung und mehr Mitgliedern im Verbund, Veränderungen bewirken können.“

Mit Blick auf die unterschiedlichen Förderrealitäten wolle der Verbund durch den Austausch konkrete Hilfen anbieten. Konkret bedeute das: „Was lief gut bei euch? Lässt sich das übertragen? Die Festivals müssen nicht jede Herausforderung alleine meistern, sondern können auf die Erfahrungen aller zurückgreifen.“ , so Silvia Werner.

Auf Bundesebene sei es wichtig, die Relevanz der Festivals für die Freie Szene zu erkennen. Mithilfe der finanziellen Unterstützung durch den Verbund könne in der aktuellen Förderphase mehr überregionales Programm ermöglicht werden. Das sei für die einzelnen lokalen Szenen wichtig, aber auch für die gesamte deutsche Szene, die so enger zusammenrücken könne.